Münchhausen-Haus

Ein Treffpunkt von Künstlern

Erbaut 1860 / 1870

Karte mit Position von „Münchhausen-Haus“

Mittelstraße 16 99425 Oberweimar

Die Villa Mittelstraße 16 fällt aus dem Rahmen der mehr dörflichen Bebauung des Umfeldes. Wann und von wem sie errichtet wurde, ist nicht belegt.

Dem Buch „Denkmale in Thüringen“ zufolge liegt die Bauzeit zwischen 1860 / 1870. Die Villa ist vergleichbar mit denen in der Belvederer Allee, die meist nach 1860 entstanden und Beispiele für die städtische Wohnbebauung im Umfeld von Weimar sind.

Das Gebäude Mittelstraße 16 zeigt Elemente des Landhausstils. Die Dachränder sind geschmückt mit einem gesägten Holzfries. An den Seitenwänden oben sind Medaillons angebracht mit Putten und Weinranken. Die Fenster weisen eine Sprossenteilung auf; der obere Teil ist kippbar und mit einem Holzgitter verziert. Kunstvolle Stuckarbeiten ober- und unterhalb der Fenster schmücken die Fassade. Im ersten Obergeschoss, der Belle Etage, ist ein Balkon mit einem sehr schönen schmiedeeisernen Geländer. Alles zusammen gibt dem Haus ein gediegenes, kunstvolles und herrschaftliches Aussehen.

Das dazugehörende Fachwerkhaus, Ilmstraße 4, ist 1926/1927 auf den Grundmauern eines alten Baues errichtet worden.

1922 kommt Anna, Freifrau von Münchhausen, Witwe des Konsuls Thankmar von Münchhausen, von Baden-Baden nach Weimar. Ihr Sohn Thankmar, der in Berlin wohnt, hat das Haus Mittelstraße 16 mit dem sehr alten Nebengebäude für sie beide erworben. Sie bewohnt das Haus 20 Jahre lang bis zu ihrem Lebensende 1942. Während dieser Zeit – genau vom 18. Mai 1924 bis zum 12. September 1939 – führt sie Tagebuch mit knappen, aber aufschlussreichen Eintragungen. Sie ist hoch gebildet, kunstsinnig, aufgeschlossen und gesellig. Sehr bald entwickelt sie enge, auch freundschaftliche Beziehungen zu bedeutenden Persönlichkeiten Weimars und darüber hinaus. Das Haus wird zu einem geistigen und kulturellen Mittelpunkt. So pflegt Anna Freifrau von Münchhausen zum Beispiel regen Austausch mit Harry Graf Keßler und ist des öfteren Gast in einem Kreis um Elisabeth Förster-Nietzsche. Besonders angetan ist sie von Paul Klee und seiner Frau Anna. So vermerkt sie in ihrem Tagebuch am 1. November 1925: „Abends Musik bei Gräfin Dohna, Maler Paul Klee und Frau spielen wunderschön Violin-Sonaten von Bach, Mozart, Schumann. Das Ehepaar gefällt mir ungewöhnlich.“ Sie macht Bekanntschaft mit dem Maler Ahner, der ihren „schönen Blick aus ihrem Fenster auf die mächtigen Bäume und die dunkle Ilm“ malt.

Die Freifrau bekommt häufig Lou Andreas-Salomé zu Besuch, die eine weitgereiste Schriftstellerin und Psychoanalytikerin aus russischer Familie ist. Thankmar, ihr Sohn, kommt oft von Berlin nach Weimar, meist bringt er Freunde mit, die immer willkommen sind. Zum Beispiel Familie Sieber-Rilke. Sieber ist Rilkes Schwiegersohn und seine Frau Ruth Rilkes Tochter. Thankmar von Münchhausen ist viele Jahre mit Rilke sehr eng befreundet. Das zeigt der Band „Briefwechsel mit Thankmar von Münchhausen 1913 – 1925“, den Rilke veröffentlicht. Eng ist auch das Verhältnis Thankmars und seiner Mutter zu Hugo von Hofmannsthal, einem österreichischen Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker. Seine Tochter Christiane ist häufig zu Besuch bei der Baronin.

Neben angeregtem Gedankenaustausch und gepflegter Geselligkeit genießt Frau von Münchhausen den schönen Garten und den Park: „… unser Hof ist bezaubernd. Wilde Rosen werfen vom Haus aus wilde Zweige mit tausend Blüten über den Hof, ein Märchen.“

Bei einem Besuch im Nietzsche-Archiv erlebt sie „den wunderschönen Sonnenuntergang und Mondschein auf stillem Schnee.“ Und eine Heimreise aus Berlin beschreibt sie so: _„3 Uhr morgens aus Berlin zurückgekommen, durch die schlafende Stadt und die im Nebelglanz träumenden blühenden Wiesen nach Hause gegangen.“ Nach einem ereignisreichen Tag, schlafloser Nacht und langer Bahnfahrt beklagt sie nicht die Anstrengungen, sondern beschreibt den Heimweg vom Bahnhof (4 km) als wunderbares Naturerlebnis. Da ist sie 72 Jahre alt.

1926/1927 lässt die Baronin das Nebengebäude als Mietshaus um- und ausbauen. Aus einer Akte im Stadtbauamt geht hervor, dass sie finanzielle Gründe dazu bewogen haben. Nach der Fertigstellung vermietet Thankmar den ersten Stock an den Bauhäusler Wilhem Wagenfeld und das Erdgeschoss mit Garten an einen Versicherungsbeamten. Danach fragt Rilkes Schwiegersohn an, ob sie das Haus für ein Rilke-Archiv bekommen könnten. Betroffen stellt sie fest: „Zu spät! Wo Er herrschen sollte, hocken zwei Bourgeois! Ich bin traurig, wie wundervoll wäre das gewesen. Ein Wunder wollte sich begeben – wir konnten es nicht halten.“ Ihre Reaktion war heftig und spontan. Trotz der Enttäuschung, Rilkes Schwiegersohn eine Absage erteilen zu müssen, entwickelte sie ein freundschaftliches Verhältnis zu Wagenfeld. Sie nimmt großen Anteil an der Geburt des dritten Sohnes der Familie Wagenfeld und feiert mit ihnen dieses Ereignis. Zu Ostern suchen „Wagenfeld-Buben“ und „Sieber-Mädchen“ Eier. Eines Abends kann die Baronin ihre Haustür nicht öffnen. Vergeblich sucht Wagenfeld zu helfen. Schließlich verbringt sie die Nacht in Wagenfelds Arbeitszimmer. Sie interessiert sich auch für seine Arbeit. 14. Dezember 1931 „Vortrag von Wagenfeld im Kunstgewerbemuseum, überraschend tüchtiger Beifall.“

An der Mauer zwischen den beiden Gebäuden ist kürzlich eine Steintafel zum Gedenken an Wilhelm Wagenfeld angebracht worden.

Wilhelm Wagenfeld (1900-1990) wurde in Bremen geboren.

Er besuchte die Bremer Kunstschule und absolvierte später eine Ausbildung als Kunstschmied.

Ab 1923 wirkt er am Weimarer Bauhaus in der Metallwerkstatt als Assistent und dann als Leiter dieser Abteilung und ist Mitbegründer des Bauhauses.

Er empfand sich als „Formgeber“ für Gebrauchsgüter, wie Geschirr, Vasen, Lampen, Besteck etc. Gropius lobte ihn dafür, dass er die Bauhausidee am konsequentesten umsetzte.

Für WMF entwirft er z.B. einen Pfeffer- und Salzstreuer namens Max und Moritz. Dieser ist standfest, lässt sich gut greifen, hat eine große Öffnung zum Nachfüllen. Der Deckel wird nicht aufgeschraubt, sondern aufgedrückt. Dies bedingt eine leichtere Handhabung und auch eine einfachere Produktion.

Jedes Ding soll funktional, haltbar, billig, schön und leicht zu produzieren sein.

Bekannt wurde er vor allem durch seine Tischleuchte (Wagenfeld-Lampe) und ein Teeservice aus feuerfestem Glas der Jenaer Glaswerke Schott.

Nach Auflösung des Bauhauses 1930 wirkt Wagenfeld freischaffend als Formgeber für die Jenaer Glaswerke Schott, für die Porzellanmanufakturen Fürstenberg und Rosenthal sowie für die Lausitzer Glaswerke und WMF.

Da er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten, wurde er an die Ostfront versetzt, kam in russische Gefangenschaft und erst 1946 nach Deutschland zurück.

Nach einer Professur in Berlin gründete er in Stuttgart die Werkstatt Wagenfeld, kreierte viele Gebrauchsgüter und erhielt dafür viele Auszeichnungen.

1990 starb er in Stuttgart, wo er auch begraben liegt.

Die Baronin zeigt auch Interesse an den Entwicklungen rund um das Bauhaus. Im Oktober 1928 besuchte sie mit ihrem Sohn Thankmar ein Fest der Bauhaus-Hochschule auf Einladung des Ehepaars Bartung.

Erstaunlich ist auch ihr Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen. Schon im Februar 1932 bemerkt sie: „Hitlers Programm schafft schlechte Nachricht und Grauen.“ Und am 13. Januar 1933 schreibt sie: „… eifriger Austausch über das neue Kabinett Hitler … Alle sehr bestürzt über diese Wendung, von der man sich nichts Gutes erwartet.“

Ihre letzte Eintragung ist vom 12. September 1939: „Wir stehen im Krieg mit Polen.“ Dann verstummt sie. Ihre schlimmen Vorahnungen haben sich bewahrheitet. Der Krieg und seine Folgen haben sie sprachlos gemacht.

Am 8. September 1942 starb sie mit 89 Jahren im Beisein ihres Sohnes Thankmar.

1945 ist der Krieg zu Ende, und es beginnt eine neue Zeit. Die DDR entsteht 1949.

Die Erben der Villa wohnen außerhalb der DDR, so dass die VEB Kommunale Wohnungsverwaltung die Betreuung des Hauses übernimmt. Die Mieter wechseln oft.

Es gibt ständig Beschwerden und Streit untereinander. Ein Beispiel dafür ist angefügt.

Schreiben von der Grundstücksverwaltung, 1953

Weimar, den 8.12.1953

Herrn Petri
Oberweimar
Mittelstraße 16

Wie uns von Seiten des Hausverwalters mitgeteilt wird, soll die von Ihnen gehaltene Katze das Glasdach über die Hauseingangstür beschädigt haben. Wir bitten Sie, für die ordnungsgemäße Instandsetzung des Glasdaches Sorge zu tragen und den Schaden bis spätestens 20.12.1953 zu beheben. Gleichzeitig bitten wir Sie, Ihren Kaninchenstall nicht unmittelbar an der Teppichklopfstange hinzustellen, da hierdurch den Mietern die ordnungsgemäße Benutzung der Klopfstange nicht gewährleistet ist.

Da der Hof noch andere Aufstellmöglichkeiten für Ihren Kaninchenstall hat, bitten wir dies zu beachten und den Stall an der Klopfstange zu beseitigen.

Grundstücksverwaltung Unruh / Lindner

In den 70er Jahren dienen die Räume als Unterkunft für Studenten der Musikhochschule. Am Ende der DDR-Zeit ist das Haus in der Mittelstraße 16 innen wie außen in einem ruinösen Zustand. Der Putz ist großflächig abgefallen, die Stuckverzierungen sind nur noch teilweise vorhanden.

1994 erwirbt Herr Wolfgang Ermer das Anwesen von der Erbengemeinschaft. Er saniert es grundlegend und umfassend mit großem Aufwand und persönlichem Einsatz, denkmalgerecht, hochwertig und geschmackvoll zur Freude der Betrachter und Mieter.

Die beiden Häuser sind durch eine Steinmauer verbunden, so dass ein großflächiger Innenhof entsteht, der mit Blumen und Sträuchern bepflanzt ist. In der Mitte steht eine amerikanische Eiche, die im Herbst rot leuchtendes Laub trägt. Diese wunderbare Oase lädt zum Verweilen ein und – wie einst – zu geselligem Beisammensein.

Literatur und Quellen
  • Rainer Müller et al: Kulturdenkmale in Thüringen 4 Bd. 2: Stadt Weimar – Stadterweiterung und Ortsteile, E. Reinhold Verlag, Altenburg 2009. ISBN 978-3-937940-54-0.
  • Tagebuch Anna von Münchhausen